Die Sage vom Raubritter Wormlitz
Einst hauste hier ein Rittersmann, dem Gottes Wort nichts galt,
zur Straf erschlug ihn dann ein Blitz im finstren, tiefen Wald.
Solang der Stein des Wormlitz steht,
ein schlimm Gewitter uns umgeht.
(Der Ortsname Wormlage soll vom Raubritter Wormlitz stammen.)
An der alten Handelsstraße, die von Leipzig über Eilenburg, Torgau, Dobrilugk, Nehesdorf, Lieskau, Dollenchen, Saalhausen, Barzig, Großräschen, Bahnsdorf, Welzow, Spremberg, Triebel und Sorau nach Niederschlesien führte, lag auch das Schloss und Dorf Wormlage. Hier hausten vor Zeiten die Ritter v. Wormlitz. Es war ein kühnes Geschlecht, bei den Freunden ebenso geachtet, wie von den Feinden gefürchtet. Fromm und zahm war keiner von ihnen gewesen. Der Letzte von ihnen aber war ein wüster Geselle. Zur Messe ging er nicht, mit Gottes Wort trieb er nur Spott, den Priestern spielte er oft übel mit. Die Nächte verbrachte er mit seinen Kumpanen bei wüsten Gelagen. Was er in dieser üblen Gesellschaft verprasste, das nahm er den vorüberziehenden Kaufleuten bei der nächsten Gelegenheit doppelt und dreifach wieder ab.
Für den Tag vor Johanni hatten ihm seine Späher von Dobrilugk aus das Herannahen eines mit spanischem Wein, flandrischem Tuch und kostbarem Pelzwerk beladenen Wagens gemeldet. Nun lag er mit einigen gleichgesinnten Rittern und mehreren Knechten seit dem Vormittag in den weiten Wäldern zwischen Wormlage und Saalhausen auf der Lauer. Aber Stunde um Stunde verrann, und kein Gefährt ließ sich sehen. Schon fürchtete Wormlitz, dass der vorsichtige Kaufherr seine Späher getäuscht haben könnte und vielleicht schon längst auf dem Wege über Finsterwalde, Calau, Vetschau, Cottbus und Guben nach Crossen sei, als der ausgestellte Vorposten, atemlos vom schnellen Lauf, das Herannahen der langersehnten Beute meldete.
Die Knechte legen sich, den Spieß in der Linken, hinter einen großen mit "Teufelszwirn" und Brombeergebüsch überwucherten Steinhaufen dicht am Wege. Die Strauchritter bringen schnell ihre gelockerte Rüstung in Ordnung, schwingen sich auf ihre Klepper und verschwinden hinter einem nahen Dickicht. Die gestrafften Zügel in der Linken, die entblößten Schwerter in der Rechten, verharren sie dort regungslos. Schon lässt sich das Knarren der Räder vernehmen. Leise klirren die Ketten dazwischen. Im Takt dazu knirschen die Sielen. Hähähä, warnt irgendwo der Häher. Der Spitz auf dem Kutscherbock neben dem Kaufherrn wittert Unrat, schlägt an, einmal und noch einmal, halb fragend, halb drohend. Wormlitz reißt sein Pferd hoch, gibt ihm unbarmherzig die Sporen und prescht mit seinem Kampfruf "Auf und drauf!" hinter dem Buschwerk hervor, seine Kumpanen hinter ihm her. Der Kaufherr und Fuhrmann sehen sich für den Bruchteil einer Sekunde in die Augen, darin sieht einer des anderen Entsetzen. Dann hauen die auf die Pferde ein, Flucht ist ihr einziger Gedanke. Aber es ist zu spät, die Knechte des Wormlitz hängen den Pferden schon in den Zügeln. Der Spieß des Kaufherrn fährt dem einen in die Achselhöhle. Er fällt. Ein anderer tritt an seine Stelle. Noch einmal springen die Pferde an, noch einmal bäumen sie sich auf unter den sausenden Peitschenhieben, dann steht das schwerfällige Gefährt in dem tiefen, mahlenden Sande.
Jetzt gehen die Knechte mit ihren Spießen dem Kaufherrn und Fuhrmann zu Leibe. Beide wehren sich mannhaft. Auch hinten tobt der Kampf. Wormlitz und seine Helfer haben die den Wagen geleitenden Reisigen in furchtbarem Anprall angefallen. Die Rosse schnauben, die Schwerter klirren. "Ergebt euch!" ruft Wormlitz, "wir sind vier gegen euch zwei." Einen dröhnenden Schlag über die Sturmhaube erhält er zur Antwort. Da zuckt sein Schwert blitzschnell vor und durchstößt die Kehle des Tapferen. Ein kurzes Schwanken, dann liegt ein todwunder Mann röchelnd im heißen Sande. Sein Kampfgenosse wird leicht übermannt, der Kaufherr ergibt sich in sein Schicksal.
Hände fesseln ihn und den Fuhrmann und verstauen beide im Innern des Wagens, der verwundete Knecht leistet ihnen Gesellschaft. Ein Knecht holt aus dem Schiff, einem an Ketten unter dem Wagen hängenden Werkzeugkasten, einen Spaten hervor und schaufelt abseits vom Wege geschwind ein Grab. Ein anderer schnallt dem gefallenen Reisigen die Rüstung ab, und gemeinsam betten sie den stillen Mann in der träumenden, sonnigen Heide zur letzten Ruhe. Sein Kampfgenosse gibt ihm ein paar kümmerliche Heideblümchen in die gefalteten Hände, bedeckt ihn mit Heidekraut und betet ein Vaterunser. Bald ist er verscharrt. Kein Hügel, nur ein wie zufällig hingeratener Haufen Steine, erinnert an die hier verübte Gewalttat.
Wormlitz treibt zur Eile an und verwischt in seiner Unruhe selbst mit der Stiefelspitze einige Blutspuren im Sande. Er will an dieser Stelle von niemandem gesehen werden, es könnte ihm Scherereien bereiten. Er atmet erleichtert auf, als der Wagen endlich in sicherer Begleitung auf geheimen Waldwegen nach Wormlage zu hinkarrt und hinschwankt. Auch ein Erntezug, aber wie traurig.
Am Schlosse angelangt, kommen die Gefangenen hinter Schloss und Riegel, der Wein wird abgeladen, und den Rest der Beute schaffen die Knechte nach kurzer Rast zu einem berechtigten Hehler nach Vetschau, um sie zu Geld zu machen.
Nach einem frugalen Mahl setzte sich Wormlitz mit seinen Kumpanen zu einem desto üppigeren Trinkgelage nieder, um die gelungene Schandtat gebührend zu feiern. Seine Geliebte, eine entlaufene Nonne vom Kloster "Frauenberg" bei Lübben, kredenzte den funkelnden Wein in mächtigen Humpen. Ein atemberaubender Duft entströmte ihm. Kühl und labend rann er durch die Kehlen, wie flüssiges Feuer rieselte er durch die Adern. Das war ein anderes Gesöff wie das gewöhnliche Dünnbier und der Senftenberger Krätzer! Das Gespräch drehte sich zunächst um ihr übles Handwerk und um ihre üblen Zunftgenossen. Nach einigen Humpen wurde ihr Geist aber beschwingter, ihre Zunge geläufiger. Eine ungeahnte Kraft schwellt ihre Glieder, kühnes Heldentum erwacht in ihnen und findet Ausdruck in Prahlen und Lärmen. Und um sie streicht schmiegsam und girrend ein schönes, junges Weib mit brandrotem Haar, gelösten Gliedern und sündhaften, ach so sündhaften Augen, für alle da und doch nur für einen. Wormlitz sieht, wie die Augen seiner Kumpane heimlich ihren Körper abtasten, sich an ihrem Antlitz festsaugen, eine Berührung suchen, lässt sich aber nichts merken. Er fühlt sich glücklich im sichern Besitz des herrlichen Weibes und weidet sich an dem Neid, der Begehrlichkeit, Unruhe und inneren Qual der anderen. Diese fühlen die Aussichtslosigkeit ihrer Wünsche und suchen im Wein Vergessenheit. Was sie suchen, finden sie. Eine wohlige Unwirklichkeit umfängt sie, alle Wünsche sterben. Wach allein bleibt in ihnen nur ein instinktives Aufderhutsein vor dem jäh aufflammenden Zorn des gewaltigen Wormlitz. Als die ersten Strahlen der aufgehenden Johannissonne die Welt vergolden, gehen sie hinüber in ein wunderbares Traumland und sind wieder einmal gut und glücklich.
Wormlitz dagegen ist es nicht recht gelungen, im Wein Vergessenheit zu finden. In seinen Adern pocht und rumort es zwar beängstigend, sein Atem geht schwer, aber eine eigenartige innere Helligkeit hält ihn wach. "Was ist das nur für ein verfluchtes rotes Flimmern?" denkt er und wischt sich mit dem feuchten Handrücken über die Augen. "Ist es das Blut des jungen Reisigen, den du gestern erstochen hast? Nein, es ist der rote Wein in deinem Humpen, den du in ehrlicher Fehde erworben hast - - - Fehde? - - Zum Teufel ja, Fehde! So wie dort rann sein Blut in den weißen Sand.
Wie ist das möglich? Es ist doch alles vorbei! - - - Ach so, der Nickel, der alte Saufaus, hat im Schlaf seinen Humpen umgestoßen, und der Wein rinnt vom Tische." Eine Weile brütet er still vor sich hin, dann fährt er plötzlich hoch: "Was sind das heute für lächerliche Bilder und Gedanken? Eben war es mir doch, als wenn ich den Reisigen vom Gaule rasseln hörte. Aber es wird wohl nur der Kasper gewesen sein, der sich mitsamt der zinnernen Kanne unter dem Tisch ein bequemes Lager gesucht hat. - - - Was stört deine Ruhe im Grabe, Vater? Lass man gut sein, die heutige Zeit verstehst du nicht. Die Krämer in den Städten vergießen adelig Blut, hängen die Ritter sogar an den Galgen. Woher haben sie das Recht dazu? Ich verübe keine Gewalttat, sondern vergelte nur Gleiches mit Gleichem."
Mitten aus diesen moralischen Anwandlungen reißt ihn seine Geliebte, die eben eintritt, um nach seinen Wünschen zu fragen. Er fertigt sie aber ziemlich unwirsch ab und sucht seinen alten Leibjäger auf, dem er den Auftrag erteilt, sich bereit zu halten, er solle ihn auf die Jagd begleiten.
Nach einer guten Stunde traten sie hinaus in den taufrischen Morgen. Das Glöcklein der nahen Kapelle rief gerade zur Johannisandacht. Wormlitz verzog sein Gesicht zu einem höhnischen Grinsen und pfiff den ungeduldigen Rüden. Stundenlang streiften sie nun schon durch Busch, Wald und Flur, aber es war wie verhext, kein Stück Wild, nicht einmal ein armseliges Häslein ließ sich erblicken. Die Laune des Ritters war von vornherein nicht rosig gewesen, durch den ungewöhnlichen Misserfolg auf der Jagd wurde sie immer schlechter. Sein Jäger fürchtete einen Zornesausbruch und mahnt: "Herr, lasst es für heute genug sein. Heute ist Johannistag, ein Tag der Gnade, da soll auch die arme Kreatur vor den Menschen Ruhe haben." Der Ritter fährt ihn aber schroff an und verweist ihm sein dummes Pfaffengeschwätz. Die Jagd geht weiter. Besorgt blickt der Jäger von Zeit zu Zeit nach Osten. Schwarzes Gewölk zieht dort auf, die Luft ist drückend und das Ungeziefer sticht wie besessen. Der Ritter scheint nichts zu bemerken und pirscht unentwegt weiter.
Sein Jäger wagt vorerst nicht, ihn auf das drohende Unwetter aufmerksam zu machen. Als es aber immer schneller heraufzieht, fasst er sich ein Herz und spricht: "Seht, Herr, wie schwarz der Himmel im Osten wird. Dort hausen die Riesen und die bösen Geister. Darum kommt aus dem Osten nichts Gutes. Lasst uns umkehren, sonst straft uns Gott für den Frevel am Johannistag." Der Ritter kann jetzt seine seit langem verhaltene Wut nicht mehr meistern und brüllt den armen Jäger an: "Du feige Memme! Mach, dass du nach Hause kommst! Mich schiert nicht Wind, mich schiert nicht Wetter. Ich werde dir beweisen, dass alles Lug und Trug ist, was euch die Pfaffen vorsalbadern." Kaum hat er die letzten Worte gesprochen, rollt dumpfer Donner drohend über die düstere Heide. Der treue Diener sieht seinen Herrn flehend an, er weiß, dass dieser eine Ruchlosigkeit plant, zu sagen wagt er aber nichts mehr. Da kommt ein furchtbarer Gewittersturm dahergefahren. Die Kiefern ächzen und stöhnen und neigen sich tief zur Erde, den beiden Jägern verschlägt er den Atem. Zugleich flammt der schwarze Himmel gelb und blendend auf, und ein gewaltiger Donnerschlag erschüttert die Luft. Schon hofft der Jäger, dass der Ritter in dem Gewittertoben seinen geplanten Frevel unterlassen würde, da stößt er ihm in die Rippen, stellt sich breitbeinig hin, hebt sein Gesicht gen Himmel, zeigt mit dem Finger auf seine Nasenspitze und ruft: "Bist du ein großer, braver Gott, so ziel auf meine Nase, mit der ich Hohn dir blase!". Für einen Augenblick legt sich der Aufruhr in der Natur. Herausfordernd und hohnvoll lachend steht der Ritter immer noch da. Dann noch ein einziges Blitzeszucken und Donnerkrachen, beide Männer stürzen gefällt zu Boden.
Eine Stunde und mehr ist vergangen. Unschuldsvoll strahlt die Sonne zur Erde hernieder. Der Jäger beginnt sich zu regen. Langsam kehrt sein Bewusstsein wieder. Er weiß aber vor der Hand nicht, wo er ist und was mit ihm geschehen sein mag. So viel fühlt er aber, dass es etwas Fürchterliches gewesen sein muss. Mühsam richtet er sich auf und sieht seinen Herrn leblos im Grase liegen. Er schleppt sich heran, da sieht er, dass ihm die Nase glatt abgeschlagen ist. Jetzt weiß er auch wieder, was geschehen ist. Ein Blick belehrt ihn, dass er seinem Herrn nicht mehr zu helfen vermag. Er rafft sich auf, schleppt sich zum Schlosse und berichtet hier von dem Geschehenen.
In abergläubischer Scheu wagt niemand, die Unglücksstätte zu betreten. Der Mönchspriester, der gerade die Kapelle verwaltet, muss kommen und die allgemeine Furcht bannen. An der Stelle, wo die Leiche liegt, rieselt ein dünner, blutroter Quell aus der Erde hervor. Der Mönch bedeckt sie mit seiner Kutte, um weiterem Unheil zu steuern. Nach und nach bildete sie einen Teich, der fortan den Namen Kuttenteich führte. Er liegt nordwestlich von Wormlage.
Der Ritter wurde mit allen Ehren bestattet. Seine Geliebte ließ ihm einen Grabstein machen und auf demselben in erhabener Form sein Standbild ausmeißeln. Kaum war es aber fertig, da fuhr ein Blitz hernieder und schlug ihm glatt die Nase ab. Da erkannte man, dass sich Gott nicht spotten lässt. Heute steht dieser Grabstein links vom Haupteingang der Kirche, und alte Leute behaupten, dass es, so lange er dort steht, in Wormlage nicht einschlagen kann.
F.Schwebel
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Zur Sage vom Ritter Wormlitz existiert auch ein Gedicht, welches die Kinder in den Schulen unserer Gegend über Generationen lernten, und vom Gärtner Wagner, der im Hause des Rittergutsbesitzers von Pannwitz diente, 1710 verfasst wurde.